Vollkommen subjektives und zusammenhangloses Tagebuch von der Biennale 2013.
Eyes Only. Nichts, was hier gesagt wird, verläßt diesen Raum.

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Disclaimer: Die bildende Künstlerin und Medienkünstlerin Simone van gen Hassend hat mit diesem Blog nichts zu tun, würde das so nie schreiben und distanziert sich weitgehend von sämtlichen Inhalten.

Hellovenezia

Ankunft in Venedig

5 Wochen in Venedig als Filmvorführer auf der Biennale. Was nach einem Traumjob klingt, wird ein Traumjob. Wir wohnen im Sestiere Dorsoduro in der Nähe der Vaporettostation San Basilio, in einem alten Palazzo in einer hübschen kleinen Wohnung mit Luxusbett und Badewanne. Badewanne! Seit zwanzig Jahren hab ich nicht mehr gebadet! (geduscht schon ein paar Mal zwischendrin, natürlich) Aber das ist purer Luxus. Warmes Wasser gibt es allerdings nur abends.

Hier wohnen wir. Ehrlich.

Es gibt eine Küche mit Gasherd. Die wird auch ausgiebig benutzt, denn nach einem ersten Versuch stellen wir fest, daß Restaurants nicht in Frage kommen, viel zu teuer. Überhaupt ist hier alles teuer, auch im Supermarkt. Selbst manche Spaghetti kosten hier mindestens das Doppelte, erstaunlicherweise. Ist das die Eurokrise? Teure Spaghetti?

Es läßt sich dann doch was Billiges finden. "Clever" heißt hier das "Ja", also die Eigenmarke vom Billa-Markt. Und Gemüse ist günstig. Manches.

Nachts ist es ziemlich kalt. Trotzdem gibt es Moskitos. Meine Hände sind mittlerweile ziemlich unansehnlich und schrundig von den aufgekratzten Stichen. Simone entwickelt sich zur Killing Machine, Mordlust im Blick. Blut klebt an ihren Händen. Unser Blut, auf Umwegen.

Vor der Haustür ist der Rio dei Carmini, gegenüber ist der Campo dei Carmini vor der gleichnamigen Kirche, um die Ecke dann der Werderplatz, der hier Campo San Margherita heißt. Studentenviertel, rundum sind die Fakultäten der Universita de Foscari. Viele Kneipen und Straßencafékultur, wie man ja weiß, und das ist auch gut so, denn auch in Italien darf man drinnen nicht mehr rauchen, also stehen alle draußen. Aber die Zigaretten sind etwas billiger, etwa 2 Cent pro Stück.

Hier sieht man unseren Weg zur Arbeit auf der Karte. Das Praktische an Venedig ist, daß sie hier keine Ubahn bauen, so daß man nicht unbedingt den neuesten Stadtplan braucht. Dieser hier ist von 1729.

Unser Arbeitsplatz. Von 10 bs 18 Uhr hat die Biennale geöffnet, und wir bedienen den Projektor für die Filme "Eigengrau" und "Eigenlicht" von Melvin Monti. Alle 45 Minuten müssen die Filmspulen gewechselt werden und abends der Projektor geputzt. Der Projektionsapparat ist aus England und heißt Kinoton FP 30 D

Der Arbeitsplatz von außen.

Und von innen.

Es gibt zwei Filme. Einer hat einen längeren Leader mit leeren Frames am Anfang zum Justieren des Bildes. Beim anderen sind die Frames angeklebt, der Lead-In ist kürzer und man muß aufpassen, daß man genug Film auf der unteren Spule hat, damit der sich gut aufwickelt. Beide sind etwa 5 Kg schwer. Das erste Bild nach dem Titel ist immer der Mond. Da kann man noch die Höhe einstellen. Nach 40 Minuten zurück, kurz vor dem grünen Quarz. Dann wird alles blau schimmernd, und man hat noch zwei Minuten. Nach 5 Sekunden Copyright zieht man den Vorhang vor und schaltet ERST DANN das Licht ein.

In den Filmen geht es darum, was man sieht, wenn das Licht aus ist. Gegenstände drehen sich vor schwarzem Hintergrund oder vor gemalten Planeten. Zuerst viktorianischer Beuteschmuck, später fluoreszierende Mineralien. Aber hier sollten sich Berufenere als ich drüber äußern, eine ausführliche Besprechung findet man hier.

Der Film war also ursprünglich nur ein Teil einer umfangreichen Recherchearbeit. Hier läuft er leider ohne diesen Kontext, so daß es ein bißchen wirkt wie das letzte Drittel von "2001 - A Space Odyssey". Die Leute setzen sich hin und erholen sich bei ruhigen Farbspielen von der Reizüberflutung des restlichen Angebots. Manche machen auch Faxen und machen Fingerschattenspiele vor der Projektion, die muß man dann rügen.

Ein kurzer Filmausschnitt as dem Teil mit Quarz. Das davor ist das Publikum. Die da waren aber brav.

Laute Geräusche in der Vorführbox beim Filmwechsel teilen dem Publikum mit, daß sich da was tut und es sich lohnt, zu warten.

Die Qualität von 35mm Film ist schon etwas anderes als Videoprojektion. Ob es am Filmkorn liegt oder an unmerklichen Unregelmäßigkeiten in der Ausleuchtung, es fühlt sich anders an, wärmer, heimeliger. Wie ein Flokati. Oder eine Vinylschallplatte.

Die Malediven fühlen sich Venedig verbunden, weil sie in einer ähnlichen Situation sind: kurz vorm Absaufen. So beschäftigen sich die Beiträge mit Flüchtlingssiedlungen und diversen Planspielen mit Wasser. Der Pavillon ist untergebracht in einem kleinen alten Haus in der Verlängerung der Via Garibaldi. Im Haus nebendran eine lustige Installation von etwas, das sich Venice-Shanghai Projekt nennt, das gehört zu den Kollateral-Events, also nicht offiziell zur Biennale, aber im Programm mit erwähnt, so eine Art Independents. Der komplette erste Stock des Hauses, vier kleine unverputzte Räume, ist leer bis auf Unmengen von bunten Papierchen und herumstehende Ventilatoren, die diese Zettel immer wieder aufwirbeln, so daß man welche fangen kann. Auf den Zetteln stehen kurze Abschnitte von Cut-Up-Poesie, generiert per Zufallsgenerator aus einer Datenbank, aus irgendeinem Grund spanische Satzbrocken mit eingesprengselten chinesischen Schriftzeichen. Kann man als surreale Glückskekse benutzen.

Long John Silver

Ornithologische Beobachtungen

In Venedig wird der Müll abends oder frühmorgens in zugeknoteten Tüten auf die Straße gestellt, vorzugsweise an einer Anlegestelle, wo er dann vom Müllboot abgeholt wird. Die Möwen wissen das. Auf dem Campo haben sie sich längst darauf spezialisiert, die dünnen Plastiktüten aufzupicken und den Inhalt nach Essbarem zu durchwühlen. Dabei kommt es zu dramatischen Szenen, wenn sich zwei der Vögel um einen Müllsack streiten und ihn über den ganzen Platz zerren, nur um dann von ihren Kollegen vertrieben zu werden, während die Tauben ungeduldig herumwuseln und nach den Resten gieren, nachdem sie ihre morgendliche Notdurft auf den Tischen der umliegenden Cafés verrichtet haben. Ab einem bestimmten Zeitpunkt werden die Aktivitäten eingesstellt, und man versammelt sich auf dem Dach der Banco di Venezia, um das Ende des Fischmarkts abzuwarten. Die Anwesenheit humanoider Zweibeiner wird bei dem ganzen Spektakel allenfalls notgedrungenermaßen und leicht indigniert in Kauf genommen.

Chef der Möwen ist ein alter einbeiniger Möv namens Long John Silver (von mir so getauft. Die italienische Version davon - Giovann Argento, Il Capo dei Gabbiani - klingt zu sehr nach Renaissancemaler) Er hat sich mir in cooler Souveränität für eine Portraitsession zur Verfügung gestellt, um danach geruhsam wieder seinen Geschäften nachzugehen. Das restliche Möwenvolk räumt ihm respektvoll Platz ein, falls nicht, stößt er ein kurzes heiseres Bellen aus, und die Unbotmäßigen machen sich davon. Der letzte Zweifel an seinem Rang verfliegt, wenn er oben auf dem Dachfirst der Banco den Kopf in den Nacken legt und lauthals seine Edikte verkündet wie ein heulender Wolf vor der Kulisse des Vollmonds.

Il Capo dei Gabbiani

In den Giardini gibt es einen Golfcart, eines dieser Elektrogefährte, die man in amerikanischen Filmen in den Country Clubs sieht. Hier dient er tagsüber der Belegschaft als Herumlungerplatz, während morgens vor der Eröffnung Feuerwehrmänner damit Rallyes fahren und dabei Morricones "Für eine Handvoll Dollars" pfeifen.

Der Mohr von Venedig

Gatto veneziano

Diese Katze ist, wie wohl alle Katzen in Venedig, katholisch. Ich treffe sie vor der Chiesa di Carmini, wo sie nach der Messe das Kirchentor bewacht. Sie wohnt im Palazzo Zenobio ein paar Häuser weiter und betreibt dort in ihrer Freizeit auf einer Parkbank Übungen in der chinesischen Kunst des Tai Chi und der altvenezianischen Pantomime.

Hier sehen wir eine pantomimische Darstellung der Insel Giudecca.

Publikumsbetrachtungen

Panoptikum der Besucher und Zeichenübungen

Joviale weißhaarige ältere Herren, referierend umringt von wahlweise Kunststudenten oder Mitgliedern einer Studiosus-Reisegruppe. Zwingend für den Berufsstand scheint zusätzlich zum normal-biederen Anzug die Applikation mindestens eines originellen Accessoires zu sein, sei es eine Fliege, ein Pepitahut, ein großkariertes Jackett, ein lächerlich unpassend bunter Schal, eine Variation einer Elton-John-Brille oder gar ein blaugefärbter Bart (I shit you not). Manche sehen aus wie eine Mischung aus Wim Wenders und Roger Willemsen, das sind dann die Deutschen oder Schweizer.

Italienische Lehrerinnen mit ihren Schulklassen. Sie klingen alle gleich, wie eine Mischung aus einer Märchenerzählerin und einer Figur aus einer Carlo Goldoni-Commedia. Für unsere Ohren erfrischend anders als die betroffen-besorgte Gluckenhaftigkeit deutscher Pädagoginnen, aber für die ihnen ausgelieferten Kinder auf Dauer bestimmt genauso unerträglich.

Kunststudenten jeglicher Couleur. Hübsche Mädchen, manche aufgedonnert in Clubkultur-meets Pierre-Cardin-Sixties-Emulationen, manche mit albernen Kreativfrisuren und entstellenden Brillen; teils ernsthafte junge Damen mit Ausstellungskatalog, teils kichernde und quakende Teenager, Primadonnen mit Löwen, ach was sag ich, Chewbacca-Mähnen; Jungmänner mit Dreitagebart und ebensolcher Glatze, was kompromißloses Ausüben (bzw. Reden über) Malerei und/oder Medienkunst signalisieren soll, ephebengleiche Späthippies und welche mit dezent angedeutetem Irokesen und Armani-Lederjacke; doofe Designerbrillen, DJ-Ziegenbärtchen, orientierungslose Blondchen beiderlei Geschlechts, kurz, das ganze Panoptikum. Die Häßlichen müssen draußen bleiben, scheint es, oder mir kommen die altersbedingt einfach alle viel schöner vor, als was sich mir abends im Spiegel darbietet (von morgens ganz zu schweigen)

Auf jeden Fall inspiriert das alles zu Zeichenstudien, hab ich schon lange nicht mehr gemacht. Ich merke, ich bin zu langsam dabei, oder die Leute laufen zu schnell vorbei.

Können die nicht einfach mal stehenbleiben? Ja, so ists recht, setz dich hin.

Oh, affige Halstücher. Hab ich ganz vergessen zu erwähnen. Hatte ich das schon? Affige Halstücher?

Natürlich Deutsche. Bei den Italienern sieht das irgendwie besser aus.

Sciopero!

Avanti Popolo, avanti scossa

Friedlich dümpeln sie an der Promenade vor sich hin, die kleinen Vaporetti.

Sciopero! Transportarbeiterstreik in ganz Italien. Die Vaporetti fahren nicht, und ich muß die ganzen 4 km zu den Giardini laufen. Versuche, den Touristenstrom am San Marco irgendwie zu umgehen, scheitern kläglich. Ich bin natürlich spät dran, und auf gut Glück und unvorbereitet durch das Gewirr aus kleinen Gassen und Kanälen zu den Giardini zu finden bedeutet freiwilliges Verirren. Und Stadtpläne sind schließlich was für Weicheier.

Heute hab ich mir was gegönnt. Einen Brot- bzw. Crostini-Aufstrich namens Crostino Toscano (duh), fast fünf Euro das Glas. Verschlossen mit einem Stück Packpapier, das am natürlich trotzdem vorhandenen normalen Schraubdeckel festgeklebt und mit einer Art Haargummi zusätzlich befestigt ist, damit es traditionell aussieht. Die Italiener lieben das. Riecht ein bißchen wie Hundefutter und schmeckt wie kaltgewordene Gulaschsuppe mit der Konsistenz von abgestandener Bolognese. Egal, das war teuer, das wird gegessen.

Wenn man von den Giardini weiter zur Schwanzflosse läuft (für die Uneingeweihten: Venedig ist ein Fisch, das behauptet sogar die offizielle Werbung manchmal. Dumm nur, daß nach dieser Logik die Biennale ungefähr auf Höhe der Kloake liegt) jedenfalls, wenn man da weiter läuft, kommt man nach Sant' Elena, ein normales Arbeiterviertel ohne viel Kanäle und dergleichen. Es gibt da ein Fußballstadion und eine Kirche aus dem 12. Jahrhundert, und einen Park mit einer Kletterwand für Kinder, wo Simone zu allgemeinem Befremden ihre Rückenübungen macht. Es gibt sogar eine Osteria mit gemäßigten Preisen, und Katzen, denen der Bürgersteig gehört.

Überhaupt sind die hiesigenKatzen durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Wahrscheinlich suhlen sie sich immer noch in einem Gefühl der Überlegenheit, schließlich hat man sie ja extra einst als Söldnertruppe zur Bekämpfung der die Beulenpest verbreitenden Ratten angeworben. Und so fläzen sie sich als venezianische Mamelucken mit aufgeblähtem Ego überallhin, wo es ihnen gerade paßt. Ha, Kirchen und Palazzi. Ohne uns wäre das alles hier gar nicht gebaut worden.

Corto Maltese war übrigens auch Venezianer, wie auch Hugo Pratt selbst zumindest zeitweise einer war. Hier erzählt er die Geschichte der Vertreibung aus dem Paradies nach dem Verzehr des Verbotenen Fisches.

 

Das ist keine Kunst, sondern die Auslage im Schaufenster eines Tabacchi in Sant' Elena. Whodathunkit.

So weit erstmal für heute. Stay tuned. Nächstes Mal gibts mehr über Kunst und Pavillons und dergleichen. Und über Tauben. Ich muß jetzt noch die Zeile vollkriegen, damit die goße Initialie nicht so blöd aussieht, wenn sie alleine da steht.